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Robert Rechenauer Architekten

Hans-Sachs-Straße 6  80469 München  Telefon 089 236856‑0
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St. Ulrich Stuttgart
Umbau der Katholischen Kirche
Ideenwettbewerb 2019

Die christliche Bildgeschichte präsentiert den heiligen Ulrich mit einem Fisch. In St. Ulrich zeichnet sich die Gestalt des Fisches dezent in Schnitt und Grundriss ab. Vollends auf geht das Bild jedoch in der Darstellung seines Lebensraums: dem Wasser.

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Allerorts findet man im Kirchenraum Bilder, die diese Lebenswelt beschreiben. Verweist das geknickte Dach noch auf die bewegte Oberfläche, führt das gedämpfte Licht, das aus einer umlaufenden Fuge die Wände streift, zum Grund. Ob Meer, See oder Fluss, das Bild wird unterstützt durch die organische Formensprache gefalteter Wandelemente, die sich schützend um den Innenraum legen. Der Raumplan, die Lichtverhältnisse, die Gestaltung der Oberflächen, vor allem aber die Motive und Farben der großformatigen Glasbausteinwände tauchen den Besucher in die die frühchristliche Symbolik des Wassers als eines alles umschließenden göttlichen Lebensraums.

Das Konzept greift die Idee des Wassers als Gestaltungsprinzip auf und führt diese in freier Assoziation fort: Das Bild des Wassers wird mit dem Bild der Arche ergänzt. Das neue Pfarrbüro, die Gemeinderäume und die Kindertagesstätte werden in einem eigenen Haus untergebracht, das innerhalb der Kirche eine „Arche“ bildet. Eine Seite der Arche definiert dabei eine neue parabelförmige Altarwand, die den bestehenden Kirchenraum um das notwendige Maß verkleinert. Die andere Seite stellt die Aussenfassade der neuen Nutzung dar, die somit im Stadtraum erlebbar wird. Die Arche bildet ein Haus im Haus, das weitestgehend die Hülle der bestehenden Kirche nutzt. Die konstruktive Ausbildung erfolgt in Holzbauweise, die sich gestalterisch gegen die Massivbauweise der bestehenden Kirche absetzt; sie steht für eine minimale Intervention und ist dem Grunde nach reversibel. Das Bild der Arche steht für Hoffnung und die Zukunftsfähigkeit der Kirche.

Städtebaulich nutzt das Erweiterungskonzept die Ressourcen des bestehenden Bebauungsplans, so dass dieser unverändert übernommen werden kann. Die Freiflächen der Kindertagesstätte werden im Westen angeordnet. Am Europaplatz lädt ein neuer, zentral gelegener Eingang zum Besuch der Kirche ein. Er führt in ein den Kirchenraum umschließendes Foyer, das einerseits zu den Nutzungen der Arche, andererseits in die Kirche führt. 

St. Ulrich – Ideenwettbewerb Abbildung

Kirche

Beim Betreten der Kirche fällt der Blick des Besuchers unmittelbar auf die großartigen Glasbausteinwände, die St. Ulrich vor anderen Kirchenbauten auszeichnet. Neben den bestehenden Kirchenfenstern prägt die neue parabelförmige Altarwand, die sich zur nördlichen Glasbausteinwand öffnet, den Kirchenraum. Im Scheitelpunkt der Parabel ist liturgisch die Kirchenmusik angeordnet, die von den gläsernen Wänden in den Raum zurückgespiegelt wird. Licht und Musik entsprechen einander, sie bilden den äusseren Rahmen, in dem Gottesdienst gefeiert wird.  

Die Altarwand rückt den Altar- und Kirchenraum an die bestehenden Glasbausteinwände, die so - insbesondere bei Gottesdiensten - deutlicher zu Tage treten, als zuvor. Die geschwungene Wand definiert Zonen, die den liturgischen Anforderungen einen Raum und verschiedene Orte geben: Während der Besucher die Kirche im Süden betritt, erfolgt der Einzug des Priesters und der Konzelebranten auf der gegenüberliegenden Seite an der Glasbausteinwand im Norden. Dort sind auch die Sedilien angeordnet. Altar und Ambo, auf die die Kirchenbänke ausgerichtet sind, bilden im Zentrum den Schwerpunkt. Der parabelförmige Schnitz in der Decke taucht die Altarwand in zartes Licht und betont so den Ort der Eucharistiefeier und des Wortgottesdienstes gleichermaßen. Im Scheitel der Parabel sind die Orgel und die Plätze für den Chor untergebracht, der sich so aktiv am Gottesdienst beteiligen kann. Die Raumgeometrie entspricht den Anforderungen einer ausgewogenen Raumakustik. Rundlauf-Echos und akustische Fokussierungen bleiben aufgrund der bestehenden Geometrie der Glasbausteinwände und diffus strukturierten Oberflächen aus.

Die Marienkapelle wird unverändert ins Konzept übernommen und bildet innerhalb des Kirchenraums einen eigenen Andachtsort. Die bestehende Empore und der Windfang im Norden werden zurückgebaut. Um einen einheitlichen Raumeindruck zu gewährleisten, werden dabei die offenen Stellen der Fassade unter Verwendung der zurückgebauten Bauteile ergänzt. Das alte Portal in der südlichen Glaswand wird für liturgische Zwecke (Prozessionen) reaktiviert. Der Eingangsbereich bietet bei Festgottesdiensten zusätzliche Stehplätze. Die Nebenflächen für die liturgischen und gemeindlichen Nutzungen befinden sich in der Arche.

 

Arche

Die Baustruktur der Arche entwickelt sich geometrisch aus der Kehle des Kirchendaches, sie stellt gewissermaßen den Kiel des Schiffes dar. Die dazu im rechten Winkel angeordneten Spanten bilden die Wände der Kojen, in denen die neuen Nutzungen integriert werden. Das Raumprogramm ist auf drei Geschossen organisiert, ein Aufzug am Haupteingang gewährleistet die barrierefreie Erschließung. Die Treppenhäuser sind in den Raumzonen der ursprünglichen Kirche untergebracht (ehemals Bereich Altar und Orgel), die ihr Licht aus den Fugen der geknickten Wandelemente und der Decke bekamen. Diese besonderen Gestaltungsmerkmale können so erhalten, ins neue Konzept übernommen und somit allen Nutzern als Erinnerungsmomente fragmentarisch zur Erfahrung gebracht werden. Der Bereich, der im Erdgeschoss als Foyerfläche dient, wird in den höher gelegenen Geschossen als Erschließungsflächen herangezogen. Im Norden öffnen sie sich zur nördlichen Glasbausteinwand, was den Nutzern den alten Kirchenbau spüren lässt.

Pfarrbüro und Gemeinderäume
Das umlaufende Foyer, das auch für Prozessionen herangezogen werden kann, erschließt die Gemeinderäume, die Sakristei, das Beichtstuhlzimmer. Der Gemeindesaal ist zweigeschossig gestaltet und grenzt direkt an den Eingangsbereich am Europaplatz, von dem er unabhängig begangen werden kann. Vom Erdgeschoss führt eine Freitreppe zum Wartebereich des Pfarrbüros mit seinen Amts- und Nebenräumen.

Kindertagesstätte
Am südlichen Treppenhaus, das unmittelbar an den Freibereich des Europaplatzes anschließt, erhält der Erweiterungsbau einen eigenen Eingang. Er dient vorwiegend der Erschließung der Kindertagesstätte, die unabhängig vom allgemeinen Kirchen- und Gemeindebetrieb genutzt werden kann; intern ist die Kindertagesstätte mit dem jedoch Gemeindezentrum verbunden. Die Kindergrippe ist mit direkter Anbindung ins Freie im Erdgeschoss, der Kindergarten in den Obergeschossen untergebracht. In OG1 sind dabei in Nachbarschaft zum Pfarrbüro die Räume für die Eltern situiert. Die Themenräume in OG2 gruppieren sich um eine gemeinsame, innen liegende Mitte, welche die Nebenräume beherbergt. Ein Rundweg verbindet alle Funktionsbereiche miteinander. Unter der bewegten Dachlandschaft, ans die das oberste Geschoss unmittelbar grenzt, ergeben sich interessante Raumzuschnitte.

Fassade
In Anlehnung an die organische Formensprache des Kirchenbaus, erhält der eingestellte Holzbau eine Fassadenkonstruktion aus Stahl, deren Profile rautenförmig aneinander gefügt sind. Die schuppenförmige Anordnung ist eine Reminiszenz an das Bild der Arche, deren Planken so im Aussenbereich sichtbar werden. Das Motiv der Schuppe oder Raute wird auch für die Fensteröffnungen im Massivbau des Kirchenbaus übernommen. Die formale Besonderheit unterstreicht die Eigenständigkeit des Gebäudes mit seinen verschiedenen Nutzungen.

Auslober
Kath. Kirchengemeinde St. Ulrich
Stuttgart-Fasanenhof
www.hedwigundulrich.de

Katholische Kirche Stuttgart
Stadtdekanat
www.kath-kirche-stuttgart.de

Verfasser
Robert Rechenauer Architekt BDA

Silke Feurle
Iuliia Aulkina